Künstliche Intelligenz im Aufwind: Chancen für KMU?

Seit Monaten ist die Welt wegen ChatGPT und Co. in Aufruhr. Was bedeutet künstliche Intelligenz für kleine und mittlere Unternehmen? Drohen KMU den Anschluss zu verpassen, wenn sie nicht rechtzeitig in diese Welt eintauchen? Wir haben Experten befragt und einen ChatGPT-Kurs besucht, um Antworten auf diese Fragen zu finden.

Das Titelbild wurde generiert mit «midjourney»

Seit einigen Monaten ist ChatGPT in aller Munde. Dazu gesellen sich immer mehr Anwendungen, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten. Das Ergebnis unserer Recherchen: Es lohnt sich definitiv für KMU, sich mit den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz vertieft zu befassen.

Das sagt auch Antonia Zahner, selbständige Unternehmerin und Online-Marketing-Expertin. Sie empfiehlt KMU, sich mit mindestens einem Sprachmodell wie etwa ChatGPT, Bing.ai, Google Bard oder Neuroflash zu befassen. Ausserdem könne es interessant sein für KMU, die häufig Bildmaterial benötigen, mit einem der Bildgeneratoren wie Midjourney, Dall-E oder Adobe Firefly zu experimentieren. «Die Anwendungsmöglichkeiten sind unbegrenzt. Für allgemeine Anwendungsfälle wie zur Erstellung oder Überprüfung von Korrespondenz, Zusammenfassungen, Protokollen oder Präsentationen kann KI die Mitarbeitenden in fast allen Abteilungen unterstützen», meint Antonia Zahner.

ChatGPT – use it like a Pro?

Wir wollen es selbst wissen und melden uns zu einem Kurs im Switzerland Innovation Park Ost mit Prof. Dr. Sigfried Handschuh an. Er ist vom Institute of Computer Science an der Universität St.Gallen und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit künstlicher Intelligenz, Machine Learning und Natural Language Processing. Über 20 Personen aus allen beruflichen Richtungen haben sich für den Nachmittag angemeldet und wollen ChatGPT-Profis werden. Professor Handschuh erläutert zuerst die Funktionsweise generativer KI, danach geht es richtig los mit dem «Prompting» – also dem Eingeben von Fragen oder Anweisungen für die KI.

Der Kursleiter betont, wie wichtig es sei, der KI klare und spezifische Anweisungen zu geben. Und dem Inhalt nicht allzu sehr zu vertrauen, denn die KI halluziniert nur allzu gerne. Spannend: ChatGPT kann nicht nur Texte generieren, sondern auch übersetzen, die Grammatik prüfen oder den Text in einer anderen Tonalität ausgeben, wie wir erfahren. Der Professor lässt uns einige Übungen machen und ziemlich schnell merken wir, wie effizient dieser digitale Assistent ist. Ob Ideen generieren oder etwas zusammenfassen – im Nu ist das Resultat da.

Schliesslich verlassen wir ChatGPT und schauen uns den Bildgenerator Midjourney an. Hier ist es etwas komplizierter, weil das System über den Discord-Dienst läuft und dieser muss zuerst mal registriert und aufgesetzt werden. Und die Prompts funktionieren hier auch ganz anders, sehen auch eher nach Programmiersprache aus – also irgendwie gewöhnungsbedürftig. Aber auch bei Midjourney: Man muss es mal ausprobieren und mit Unterstützung eines Profis klappt es dann plötzlich ganz gut. Und einmal mehr staunen wir über das Resultat und die atemberaubenden Bilder, die da plötzlich vom Bot kreiert werden. Übrigens: Jedes Bild, das von der KI generiert wird, ist ein Unikat. Wenn Sie von der KI erstellte Bilder auf Ihrer Website verwenden, sollten Sie dies entsprechend deklarieren, beispielsweise in der Bildbeschreibung.

Wo sieht Siegfried Handschuh den Einsatz von generativer KI im Unternehmen? «Ich sehe den Einsatz vor allem in den Bereichen Marktanalyse, Ideenfindung, Erstellung von Inhalten, personalisierter Kommunikation, Innovation und Effizienz sowie Entscheidungsfindung», fasst er zusammen. Für ihn läute die generative Künstliche Intelligenz aber eine soziotechnische Zeitenwende ein. Eine Zeitenwende, wie wir sie nur alle 30 bis 40 Jahre erleben würden. «Das wird anhaltende und umfangreiche Auswirkung auf Unternehmen haben», meint Siegfried Handschuh.

KMU Alpinamed bildet sich weiter

Andreas Bleiker, CEO der Alpinamed AG, einem Ostschweizer Hersteller von pflanzlichen Arzneimitteln, hat kürzlich einen internen Workshop mit rund 25 Mitarbeitenden zum Thema ChatGPT organisiert. Viele im Unternehmen hätten ChatGPT schon privat genutzt, einige auch geschäftlich. Das Interesse am Thema war gross. Doch Bleiker relativiert: «Für technische Anwendungen im Betrieb sehen wir derzeit keine grosse Verwendungsmöglichkeit. Jedoch für alle administrativen Arbeiten und natürlich in der Marketing-Kommunikation kann das System eine Hilfestellung sein. Es ist nie ein Ersatz für menschliche Intelligenz, man muss es mit «Herz» anreichern, um die Einzigartigkeit des Ergebnisses nicht zu verlieren.» Für Bleiker geht es beim Thema KI auch um die junge Generation: «Personen wie die Generation Z haben diesbezüglich klare Erwartungen. Die Arbeit soll möglichst wenig Routine enthalten und die KI soll uns in Standardprozessen entlasten. Somit bleibt mehr Zeit für Wesentliches.»

Auch Jacqueline Gasser-Beck, Leiterin des Teaching Innovation Lab der Universität St.Gallen, erwähnt die Generation Z: «Der Zugang zu ChatGPT ist kinderleicht. Um jedoch möglichst gute Antworten von einem Bot zu erhalten, sind klar strukturierte Eingaben, sogenannte Prompts, entscheidend. Die Resultate sollten aber immer kritisch hinterfragt werden. Ein wichtiger Extraschritt, bei dem sich die GenZ gerne für die Abkürzung entscheidet», so Gasser-Beck. Andererseits sei die GenZ experimentierfreudiger, wenn es darum geht, die eigenen Prompts in einem iterativen Prozess zu verfeinern. Entscheidend sei also nicht so sehr das Alter, sondern vielmehr das Mindset.

Kein Trend, sondern eine Revolution

Für Jacqueline Gasser-Beck ist jetzt schon klar, dass künstliche Intelligenz weitreichende Auswirkungen für KMU haben wird. Fast jeder Geschäftsprozess könne optimiert werden. «Durch den Einsatz generativer künstlicher Intelligenz entstehen nicht nur Effizienzgewinne und Kosteneinsparungen, sondern auch innovative Ansätze», ist sie überzeugt. Entsprechend sei KI mehr als ein flüchtiger Trend. KMU, die sich bisher nicht mit KI auseinandergesetzt hätten, riskierten den Anschluss zu verlieren. Gemäss dem «Future-Jobs»-Bericht des WEF würden 44% unserer beruflichen Fähigkeiten aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung in den nächsten fünf Jahren veraltet sein. «Reskilling wird deshalb ein wichtiges Thema. Und Unternehmen, die nicht die nötige Agilität mitbringen oder ihre Mitarbeitenden nicht weiterbilden, können ins Hintertreffen geraten», betont sie.


Anwendungsmöglichkeiten für KMU von Antonia Zahner:

Marketing und Kommunikation

Hier kann KI von der Analyse und Marktforschung (Kundenanalyse, Website-Analyse etc.) über die Marketingstrategie (inkl. Ziel- und Zielgruppendefinitionen, Personaerstellung etc.) und die Entwicklung von Kampagnen und Websites bis hin zur Erstellung von Inhalten wie Texten, Bildern und Videos eingesetzt werden. KI kann bei Contentideen oder Werbeanzeigentexten helfen, Keywords recherchieren, Vorschläge für Botschaften, Schlagzeilen oder sogar Medienmitteilungen erstellen.

Vertrieb

Im Vertrieb können KI-Tools eingesetzt werden, um Daten zu analysieren und vorherzusagen, welche Leads am wahrscheinlichsten zu Kunden werden. Auf Basis von Kundenverhalten und Kaufhistorie kann KI personalisierte Produktempfehlungen erstellen, wie das bei vielen Onlineshops schon der Fall ist. Chatbots können Kundenanfragen in Echtzeit beantworten und Informationen bereitstellen oder sogar Verkäufe abschliessen. KI kann Marktdaten, Wettbewerbsinformationen und die Kundennachfrage analysieren und so Preisoptimierungen vorschlagen etc.

Human Resources

Im HR kann KI für «Textarbeiten» genutzt werden wie Stellenausschreibungen oder Absagen, aber auch um Interviewfragen oder Assessment Center mit Fallbeispielen zu erarbeiten oder sogar um mit einem virtuellen Bewerber ein Bewerbungsgespräch zu führen. Umstrittener und heikler ist der Einsatz von KI-Tools im Bewerbungsmanagement, z.B. um Kandidatinnen und Kandidaten aufgrund bestimmter Kriterien und Qualifikationen vorauszuwählen.

Finanzen

Im Bereich Finanzen und Buchhaltung kann KI die Prozesse optimieren und Risiken minimieren. So kann KI wiederkehrende Transaktionen erkennen und automatisch buchen, wodurch menschliche Fehler reduziert und Zeit gespart wird. Oder KI kann durch Mustererkennung ungewöhnliche Transaktionen identifizieren, die auf einen Betrug hinweisen könnten. Durch die Analyse historischer Daten kann KI zukünftige finanzielle Trends und Szenarien vorhersagen.

Logistik

In der Logistik kann KI bei der Optimierung der Lieferkette bspw. bei der Lagerverwaltung und Routenplanung helfen. In der Produktentwicklung und Qualitätssicherung können KI Tools bei der Marktforschung und der Auswertung von Kundenfeedback eingesetzt werden, um grosse Mengen an Daten zu analysieren.