29. Januar 2024, Tägliche Marktsicht

Geduld ist gefragt

Der weitere Zinspfad erfordert in den kommenden Monaten viel Fingerspitzengefühl von den Notenbanken.

Im Fokus

Am Mittwoch wird die Fed ihren nächsten Zinsentscheid fällen. Ein Anpassung nach unten wäre eine Überraschung. Eine Zinserhöhung ein Schockmoment für die Finanzmärkte. Die Annahme, dass die Fed nicht an der Zinsschraube drehen wird, ist daher nicht allzu gewagt. Die Fed Watcher wird vor allem die Pressekonferenz von Jerome Powell interessieren. Jedes Wort und jede Geste wird dahingehend analysiert, ob daraus etwas für den Zeitpunkt der ersten Zinssenkung abgelesen werden kann.

Die EZB hat den Zinsentscheid schon hinter sich. Christine Lagarde versuchte den Märkten einzureden, dass die Inflation weiter sinken muss, bevor im Sommer die Zinsen gesenkt werden können. Überzeugend wirkte sie dabei nicht. Es dürfte für sie schwierig sein, das heterogene EZB-Entscheidungsgremium zu kontrollieren. Der Chef der Banque de France möchte offensichtlich die Zinsen so schnell wie möglich senken, während andere davor warnen, die Inflation zu unterschätzen. Die Inflationsunterschiede in der Eurozone sind riesig. Während in Italien mit 0.5% praktisch Preisstabilität herrscht, leiden Länder wie Österreich oder Tschechien immer noch unter Inflationsraten von deutlich über 5%. Auf der anderen Seite befindet sich die Wirtschaftslokomotive Deutschland in der Rezession. Ob tiefere Zinsen der deutschen Wirtschaft im Moment viel helfen, ist angesichts der strukturellen und politischen Probleme in unserem Nachbarland eine andere Frage. Für die EZB kommt erschwerend hinzu, dass sie ihre Sitzung im März vor der Fed abhält und sich nicht einfach an die Amerikaner anhängen kann.

Für die Fed ist die Ausgangslage auch nicht einfach. Der Inflationsdruck nimmt ab. Das von der Fed favorisierte Inflationsmass, die PCE-Kerninflation, ist auf 2.9% gesunken. Die Konjunktur hält sich aber solide und hat in den letzten Wochen sogar an Fahrt zugelegt. Die Leute haben das Gefühl, der Wirtschaft gehe es schlecht, geben ihr Geld aber grosszügig aus. Die Detailhandelsumsätze sind im Dezember über den Erwartungen stark gestiegen. Die Wirtschaft ist im vierten Quartal mit einer Jahresrate von über 3% gewachsen. Der Arbeitsmarkt zeigt sich insgesamt auch von seiner starken Seite und die Löhne steigen gemäss der Fed in Atlanta mit 5.6% überdurchschnittlich stark. Das ist nicht das Umfeld, welches Zinssenkungen erfordert. Der Leitzins der Fed ist mit 5.375% jedoch auf einem hohen und konjunkturbremsenden Niveau, das auf Dauer die Wirtschaft zu stark belastet. Den richtigen Zeitpunkt für ein Absenken der Zinsen in den konjunkturneutralen Bereich von rund 4% zu finden, ist angesichts der zeitlichen Verzögerung, bis Zinsveränderungen auf die Konjunktur einwirken, ein Balanceakt, der viel Fingerspitzengefühl erfordert.

Sowohl für die Fed als auch für die EZB gilt, dass sie hoffentlich die nötige Geduld aufbringen und mit Zinssenkungen noch etwas zuwarten. Nach der ersten Zinssenkung wird es schwierig sein, den eingeschlagenen Weg nach unten in den folgenden Sitzungen zu stoppen, sollte sich die Inflationsdynamik nicht wie gewünscht entwickeln. Die Reaktion der Finanzmärkte wäre harsch. Die Konsumenten und Unternehmen würden verunsichert, was negativ auf die Konjunktur einwirken würde. Es macht daher Sinn, die Zinsen im Frühjahr noch nicht zu senken und die Datenlage bis im Sommer zu beobachten. Die Fed um Jerome Powell wird sich nicht durch die Markterwartungen drängen lassen. Ob die Mitglieder des EZB-Rates die nötige Geduld auch aufbringen, ist dagegen fraglich.

Aktienmärkte

US-Aktienmärkte
Dow Jones: +0.16%, S&P500: -0.07%, Nasdaq: -0.36%

Europäische Aktienmärkte
EuroStoxx50: +1.16%, DAX: +0.32%, SMI: +1.62%

Asiatische Märkte
Nikkei 225: +0.83%, HangSeng: +0.45%, S&P/ASX 200: +0.30%

Die Gewinnsaison der Unternehmen ist im Gange. Ein klarer Trend hat sich bisher nicht herauskristallisiert. Entsprechend konzentriert sich die Marktreaktion auf die Aktien der Firmen, die gerade ihre Zahlen präsentieren. Im Zweifelsfalle reagieren sie negativ auf die Zahlen, auch wenn diese in den Erwartungen ausfallen. Eine breitere Wirkung auf die Aktien hatte die EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Sie wollte den Märkten vermitteln, dass die EZB die Zinsen erst im Sommer senken wird. Mit ihrem unentschlossenen Auftritt hat sie aber nur die Spekulationen auf Zinssenkungen im März angeheizt. Der S&P 500 legte letzte Woche 1.06% zu. Die europäischen Aktien stiegen 4.20%, während der Swiss Performance Index die Woche mit einem Plus von 2.19% abschloss.

Das letzte Aktienjahr hat mit einem wahrhaftigen Schlussspurt geendet. Insbesondere der S&P500 sowie der DAX haben mit einem Plus von fast 15% stark zugelegt. Auch der Schweizer Index SPI hat mit rund 8% einen versöhnlichen Abschluss hingelegt. Die überraschend robuste Konjunktur, insbesondere in den USA, deutet an, dass die Wirtschaft gut mit den hohen Zinsen umgehen kann. Zudem kündigen sich bereits erste Zinssenkungen an. Die Inflation ist auf dem Rückzug und das gibt den Zentralbanken Raum, um von der aktuell restriktiven Geldpolitik wegzukommen. Die Chancen sind intakt, dass der Wirtschaftsrückgang sich nicht mehr stark ausweitet und sich entsprechend bald wieder Optimismus verbreitet. Wie schnell die Zentralbanken jedoch die Leitzinsen senken, darüber herrscht im Moment grosse Unsicherheit. Die Marktteilnehmer erwarten in diesem Jahr sechs Zinssenkungen durch die US-Notenbank. Auch von der EZB werden bis im Dezember sechs Zinsschritte nach unten erwartet. Diese Erwartungen halten wir für übertrieben. Entsprechend gehen wir davon aus, dass es an den Aktienmärkten immer wieder zu kurzen Rückschlägen kommen wird. Auch nicht aus den Augen lassen dürfen wir die geopolitische Dimension. Die gestiegenen Risiken im Nahen Osten, insbesondere im Roten Meer, sind nicht zu unterschätzen. Insgesamt ist für uns dank solider Konjunktur und potenziellen Zinssenkungen eine gut dotierte Aktienposition aber gerechtfertigt, auch wenn der Weg unruhiger wird.

Kapitalmärkte

Renditen 10 J: USA: 4.130%; DE: 2.299%; CH: 0.900%

Bei den Zinsen ist es ruhiger geworden. Das Ausmass der kurzfristigen Ausschläge hat abgenommen. Es scheint, als ob die Kapitalmärkte auf den Auftritt von Jerome Powell am Mittwoch warten. Als gewiefter Zentralbanker wird sich Powell aber kaum in die Karten blicken lassen.

Währungen

US-Dollar in Franken: 0.8638
Euro in US-Dollar: 1.0840
Euro in Franken: 0.9364

Die Zeit des schwächeren Frankens war nur von kurzer Dauer. Der Euro leidet unter dem Auftritt von Frau Lagarde und anderer EZB-Vertreter, welche die Erwartungen an tiefere EZB-Zinsen stärken. Der US-Dollar profitiert von stärkeren Konjunkturdaten in den USA, kann aber auch keine Fantasie wecken. So bleibt halt einmal mehr nur der Franken.

Rohstoffmärkte

Ölpreis WTI: USD 78.33 pro Fass
Goldpreis: USD 2'026.00 pro Unze

Der Ölpreis ist auf den höchsten Stand seit Ende November gestiegen, nachdem die Huthis im Roten Meer einen Tanker in Brand geschossen haben. Wie nachhaltig der Preisanstieg beim Öl ist, wird sich zeigen müssen. Zweifel sind angebracht.

Wirtschaft

USA: Personal Income (Dezember) letztes: 0.4%; erwartet: 0.3%; aktuell: 0.3%
USA: Personal Spending (Dezember) letztes: 0.4%; erwartet: 0.5%; aktuell: 0.7%

Die Einkommen der US-Amerikaner sind im letzten Jahr um 5.2% gestiegen. Das Geld wurde grosszügig ausgegeben. Die Sparquote ist mit 4.5% auf einen tiefen Wert gesunken. Das hilft der Wirtschaft, den Gegenwind der hohen Zinsen zu kompensieren.

Thomas Stucki

Leiter Investment Center
Stauffacherstrasse 41
8021 Zürich
Ansicht vom Gebäude der Niederlassung der St.Galler Kantonalbank in Zürich