12. März 2024, CIO-Sicht | Rohstoffe

Die Energieversorgung bleibt anfällig

Energiemangellage war das Kernthema im letzten Winter. Wie hat sich die Energielage seither entwickelt?

In diesem Jahr hat kaum jemand vor einer Energiemangellage gewarnt. Dazu hat neben dem milden Winter auch beigetragen, dass die Energiepreise wieder auf das Niveau von 2021 gesunken sind. Der Preis für Erdöl ist heute um einen Drittel tiefer als 2022, der Preis für Erdgas in Europa um mehr als 90%.

Die Versorgung mit Erdöl und Erdgas hat sich neu ausgerichtet. Deutschland bezieht einen grossen Teil seines Erdgasbedarfs neu aus Katar, während sich China und Indien mit verbilligtem Erdöl aus Russland versorgen. Gleichzeitig haben die Firmen in den USA die Ölförderung auf ein neues Rekordniveau angehoben, nachdem der Ölpreis gestiegen ist.

Der Anstieg der Energiepreise nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine war ein klassischer Fall des Zusammenbruchs einer eingespielten Versorgungskette. Das Erdgas, das mengenmässig immer in genügendem Ausmass vorhanden war, war plötzlich nicht mehr am richtigen Ort, um die Nachfrage zu befriedigen. In der Folge stieg der Preis. Angst und Spekulation verstärkten den Trend, weshalb es im Sommer 2022 beim Erdgaspreis mehrmals zu aussergewöhnlich grossen Ausschlägen nach oben kam und der Erdölpreis auf deutlich über 100 US-Dollar pro Fass stieg.

Nun ist der Spuk vorbei – doch können wir uns einfach wieder anderen Themen widmen? So einfach ist es nicht. Die Ereignisse 2022 haben gezeigt, wie verletzlich und anfällig die Transportwege von Erdöl und Erdgas auf Unterbrüche reagieren. Ausserdem ist die Versorgung mit Energie aufwändig und mit grossen Investitionen verbunden. Ein Wechsel des Anbieters von heute auf morgen ist praktisch nicht möglich.

Die daraus zu ziehenden Lehren sind im Grundsatz einfach, in der praktischen Umsetzung aber eine Herausforderung und teuer. Diversifikation bei den Energieträgern und bei den Versorgungswegen sowie Lagerhaltung sind die Zauberworte. Die Frage ist, ob die Konsumenten in den Industrieländern bereit sind, die dafür notwendigen Kosten zu tragen.

Thomas Stucki

Leiter Investment Center
Stauffacherstrasse 41
8021 Zürich
Ansicht vom Gebäude der Niederlassung der St.Galler Kantonalbank in Zürich