Eine neue Weltordnung: China und die USA im Systemwettbewerb

Am Horizonte Trend- und Konjunkturforum der St.Galler Kantonalbank in Rapperswil waren die Reihen bis auf den letzten Platz besetzt. Die Themenwahl hat offenbar den Nerv der Kundinnen und Kunden getroffen: China und die USA im Wettstreit um die Weltherrschaft.

Mit Professorin Dr. Claudia F. Brühwiler von der Universität St. Gallen stand eine Frau am Rednerpult, die man nicht verpassen durfte. Ihre wissenschaftliche Arbeit über den US-Konservatismus wurde letztes Jahr mit dem Thurgauer Forschungspreis Walter Enggist ausgezeichnet. Bei Horizonte fokussierte die Amerika-Expertin auf das Spannungsverhältnis zwischen den USA und China: Zwei Weltmächte, die sich in einem totalen Systemwettbewerb befinden, dem sich Europa und damit auch die KMU in der Schweiz nicht entziehen können. Stehen wir vor einer neuen Weltordnung?

Drei Mythen, ein Problem

Die mediale Aufmerksamkeit ist aktuell vor allem auf den Nahen Osten und die Ukraine gerichtet. Doch für die Schweizer Wirtschaft ist die Entwicklung weiter östlich von noch grösserer Bedeutung: Im Indopazifik spielt sich ein Kampf um die wirtschaftliche und militärische Vorherrschaft ab. Spätestens seit der Ära Donald Trumps ist es offensichtlich, dass die USA und China sich in einem Systemwettbewerb befinden.

Professorin Claudia F. Brühwiler stellte bei Horizonte drei Mythen und ein Problem in den Vordergrund. Mythos 1: «China hat die USA als Weltmacht so gut wie abgelöst». Stimmt das wirklich, was manchmal so dahingesagt wird? Nicht wirklich, wie einige Fakten schnell belegen konnten. So hinke das Bruttoinlandprodukt in China noch immer weit hinter demjenigen der USA hinterher. Ein weiteres Indiz sei die Reproduktionsrate. In der Schweiz liege diese bei 1.41, in den USA bei 1.68 und in China? Lediglich bei 1.16; das sei sehr wenig. Im Gegensatz zu den USA gelte China nicht als Einwanderungsland. Mit einem Foto, das China bei Nacht zeigte, folgte ein weiteres Argument: Je heller ein Land in der Nacht erleuchtet ist, desto fortschrittlicher ist dessen Gesellschaft, heisst es in einer Studie. Im Vergleich zu den USA bleibt China jedoch relativ dunkel.

US-Softpower und Hardpower

Doch wie sieht es mit dem nächsten Mythos aus: «Die Welt ist multipolar – der «unipolare Moment» mit Amerika als einziger Weltmacht ist vorüber.» Auch diesen Mythos konnte Brühwiler entkräften. Es gebe verschiedene Formen von Macht. Zum einen die wirtschaftliche Macht – hier sind die USA nach wie vor mit grossem Abstand die führende Weltmacht. Dann gebe es aber auch die sogenannte Softpower. «Dazu gehört beispielsweise Netflix oder McDonalds. Wenn Sie am Abend Netflix schauen, unterstützen Sie den American Lifestyle – das ist die Softpower von Amerika», so Brühwiler. Hier seien die USA praktisch omnipräsent, China habe keine Chance. Neben der Softpower gebe es auch die Hardpower, also die militärische Macht. Auch in diesem Bereich stehen die USA an der Spitze. Mit rund 800 Militärbasen ausserhalb des eigenen Territoriums würden sie China bei weitem übertrumpfen.

Und wie lautete Mythos 3? «Wir können wirtschaftliche und politische Interessen trennen». Können wir dies wirklich? Brühwiler bezweifelte dies, und erläuterte es am Beispiel des US-Chefs von ABB, der vor den US-Kongress zitiert wurde. Man warf ihm vor, dass in den chinesischen Hafenkränen, die in US-Häfen standen und mit ABB-Software ausgerüstet waren, chinesische Spyware steckte. Und auch das Beispiel Taiwan würde die Verknüpfung von Politik und Wirtschaft aufzeigen: Während China die Insel für sich beansprucht, zittert die Weltwirtschaft, da rund 80 % der Chip in Taiwan produziert werden. Was passiert, wenn China Taiwan tatsächlich annektiert?

Die drei Mythen waren somit entkräftet. Was war denn nun noch das eine Problem? Gemäss Brühwiler hätten wir mit dieser Ausgangslage nun ganz viele Probleme. Sie  präsentierte eine Illustration von  «Chimerica»: ein Panda und ein alter Mann mit USA-Zylinder, die zusammen unter einem riesigen Umhang stecken. Die Aussage des Bildes war offensichtlich: Die beiden Länder können nicht mehr ohne einander, aber auch nicht richtig miteinander. Es bleibe also spannend, wer diesen Wettkampf um die neue Weltordnung für sich gewinnen werde.

Konjunkturaussichten 2024

Neben dem Referat von Professorin Brühwiler erfuhren die Gäste von Thomas Stucki, Chief Investment Officer der St.Galler Kantonalbank, die aktuelle Sicht auf die konjunkturelle Entwicklung. Stucki rückte fünf Themen in den Fokus, die aus seiner Sicht entscheidend sein würden in diesem Jahr: der starke Franken, der stützende private Konsum, die Zinspolitik der Nationalbank, die Konjunktur in den USA, China und Deutschland. Stucki betonte die Argumente für einen starken Franken, die für ihn überwiegen würden: Die Inflation in der Schweiz sei tiefer als im Ausland, das Vertrauen in den Euro gering, der Franken gelte weiterhin als sicherer Hafen. Die Zinsen würden auf jeden Fall wieder sinken, aber nicht sofort, sondern später als erwartet, so Stucki. Seine Prognose zur Konjunktur: «Die Konjunktur erholt sich im zweiten Halbjahr.»

Prof. Dr. Claudia Franziska Brühwiler ist Titularprofessorin für amerikanisches politisches Denken und amerikanische Kultur an der Universität St. Gallen, wo sie 2010 für die beste Dissertation in Recht- und Staatswissenschaft ausgezeichnet wurde. 2023 erhielt sie den Thurgauer Forschungspreis Walter Enggist für ihre Arbeit zum US-Konservatismus. Ihre Forschung hat sie an verschiedene Universitäten in den USA, Japan und Irland geführt. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen in Winterthur.

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