
06. November 2023, Tägliche Marktsicht
Zinssenkungen ante portas?
Bis vor Kurzem ging die Angst vor steigenden Zinsen um. Mittlerweile sieht die Welt wieder etwas anders aus und die Spekulation auf sinkende Zinsen erhielt zuletzt erneut Auftrieb. Diese Erwartungen sind jedoch verfrüht.
Im Fokus
Vor zwei Wochen ging die Angst vor steigenden Zinsen um und brachte die Aktienmärkte zum Zittern. Die Rendite der 10-jährigen US-Treasury Note näherte sich der Marke von 5%, was die schwärzesten Szenarien für die Finanzmärkte aufleuchten liess. Je eine Sitzung der EZB und der Fed später sowie ein paar neue Jobs in Amerika weniger sieht die Welt wieder anders aus. Sinkende Zinsen sind angesagt und die Aktienkurse steigen. Die Rendite der 10-jährigen US-Treasury Note ist fast ein halbes Prozent tiefer. Die Spekulation auf sinkende Zinsen macht auch vor der Schweiz nicht halt. Die SNB soll gemäss dem «Markt» schon im nächsten Juni den Leitzins ein erstes Mal senken. Die Swapzinsen, die für die Bestimmung der Zinssätze für die Festhypotheken relevant sind, liegen in allen Laufzeiten unter dem Leitzins der SNB, in den mittleren Laufzeiten mit 1.30% sogar deutlich. Die Kehrtwende bei den Markterwartungen in der Schweiz ist nicht nachvollziehbar.
Die Inflation liegt mit 1.7% im Zielbereich der SNB. Der Trend nach unten hat sich in den letzten Monaten aber nicht mehr fortgesetzt. Die Kernrate ist im Oktober gar von 1.3% auf 1.5% gestiegen. In den nächsten Monaten wird die Inflationsrate wieder 2% erreichen, wenn die höheren Mieten und die neuen Strompreise in die Berechnung einfliessen. Zudem geht die SNB in ihrer Inflationsprognose davon aus, dass die Inflationsrate beim aktuellen Leitzins von 1.75% in den nächsten zwei Jahren nur marginal unter 2% sinkt. Nicht überraschend warnt die SNB deshalb vor weiteren Zinserhöhungen.
Die konjunkturelle Abschwächung breitet sich auch in der Schweiz aus, ausgehend von der Exportindustrie zunehmend auch in andere Sektoren. Die höheren Preise für die Krankenkassenprämien und die höheren Mieten werden sich dämpfend auf andere Konsumausgaben auswirken. Deshalb hat die SNB im September den Leitzins nicht mehr erhöht. Von einer tiefen Rezession mit steigenden Arbeitslosenzahlen, die ein rasches Eingreifen der Geldpolitik erfordern würde, sind wir jedoch meilenweit entfernt. In verschiedenen Sektoren gibt es zudem erste Anzeichen, dass der Boden bei den Auftragseingängen erreicht ist.
Ein gewichtiges Argument der Zinsbullen ist, dass die SNB bei einer Zinssenkung der EZB nachziehen muss, damit sich der Franken nicht aufwertet. Dieses Argument hat einige Schwachstellen. Erstens ist alles andere als sicher, dass die EZB die Zinsen in der Eurozone so schnell senkt. Zwar stottert die Konjunkturlokomotive Deutschland kräftig, aber die Inflation in der Eurozone ist mit 4.3% immer noch im schmerzhaften Bereich. Zweitens hat die SNB die Zinsen weniger stark erhöht als die EZB oder die Fed. Die Zinsdifferenz zu Europa ist deutlich grösser als im historischen Mittel, was den Spielraum der SNB erhöht. Zuletzt haben Zinsen und Zinsveränderungen auf die Wechselkurse nur einen kurzfristigen Effekt.
Die SNB hat keinen Grund, die Zinsen rasch zu senken, auch weil der aktuelle Leitzins mit 1.75% alles andere als hoch und konjunkturbremsend ist. Eine Zinssenkung im nächsten Jahr ist deshalb nicht angebracht. Die erste Zinssenkung der SNB sehen wir erst 2025. Auch dann ist das Zinssenkungspotenzial angesichts einer Inflationsrate, die sich im besten Fall im mittleren Bereich des SNB-Bandes bewegt, beschränkt.
Aktienmärkte
US-Aktienmärkte
Dow Jones: +0.66%, S&P500: +0.94%, Nasdaq: +1.38%
Europäische Aktienmärkte
EuroStoxx50: +0.12%, DAX: +0.30%, SMI: -0.12%
Asiatische Märkte
Nikkei 225: +2.38%, HangSeng: +1.42%, S&P/ASX 200: +0.28%
Die Angst vor steigenden Zinsen war gestern. Heute sind sinkende Zinsen angesagt und Technologieaktien muss man wieder haben, egal zu welchem Preis. Der S&P 500 legte letzte Woche 5.85% zu. Die europäischen Aktien stiegen 3.99%, während der Swiss Performance Index die Woche mit einem Plus von 2.86% abschloss.
Die Optimisten kommen an die Aktienmärkte zurück. Dabei hat sich an den Rahmenbedingungen seit letzter Woche nur wenig verändert. Die Problemfelder mit den hohen Zinsen, einer hartnäckigen Inflation und einer drohenden Rezession werden ergänzt durch die anhaltenden Kämpfe in Israel. Von Bedeutung für die Weltwirtschaft ist der Nahe und Mittlere Osten über den Export von Erdöl und Erdgas. Deutlich höhere Energiepreise würden die Bemühungen der Notenbanken, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, erschweren und die sich schon abschwächende Konjunktur zusätzlich belasten. Der Ölpreis befindet sich aber weit unter den Höchstständen des letzten Jahres. Solange Länder wie der Iran oder Saudi-Arabien nicht direkt in den Konflikt einbezogen sind, wird sich daran nichts ändern. Die direkten negativen Auswirkungen des Nahost-Konflikts beurteilen wir als gering. Die Unsicherheit wird jedoch bleiben. Zwar sind zusätzliche Zinserhöhungen der Zentralbanken nicht mehr zu erwarten, rasche Zinssenkungen aber eben auch nicht. Das wird sich ändern, weil die Zinsen in den USA für die Wirtschaft auf dem heutigen Niveau ein Bremsklotz sind. Die Fed wird die ihren Leitzins ab dem nächsten Sommer daher wieder senken. Die Diskussion um den Zeitpunkt der ersten Zinssenkung wird schon früher einsetzen, aber wohl erst nach der Jahreswende. Deshalb darf das Kursrally der letzten Woche nicht überbewertet werden. Es kann an den Aktienmärkten in den kommenden Wochen ungemütlich bleiben und wir rechnen weiter mit erhöhten Kursausschlägen.
Kapitalmärkte
Renditen 10 Jahre
USA: 4.585%; DE: 2.645%; CH: 1.129%
Die Stimmung an den Kapitalmärkten hat gedreht. Sinkende Renditen sind das Gebot der Stunde. Dass die Renditen so schnell nach unten gedrückt wurden, hat auch damit zu tun, dass einige Investoren auf dem falschen Fuss erwischt wurden und ihre Short-Positionen in den US-Treasuries um jeden Preis liquidieren müssen.
Währungen
US-Dollar in Franken: 0.8968
Euro in US-Dollar: 1.0739
Euro in Franken: 0.9630
Umgekehrte Welt auch an den Devisenmärkten. Der US-Dollar leidet unter den sinkenden Treasury-Renditen und der Euro wird gesucht. Der Franken ist irgendwo dazwischen auch noch da. Die Schulden Italiens, die vor einer Woche noch als Gefahr für eine neue Eurokrise herhalten mussten, sind vergessen.
Rohstoffmärkte
Ölpreis WTI: USD 81.00 pro Fass
Goldpreis: USD 1'984.43 pro Unze
Der Preis für Erdöl ist deutlich gesunken. Die Angst vor einem Übergreifen des Nahostkonflikts auf den Iran ist gesunken. Mit den USA und ihren Flugzeugträgern im östlichen Mittelmeer wollen sich der Iran und seine Hilfstruppen wie die Hisbollah nicht anlegen. Die Befürchtung einer sinkenden Nachfrage nach Öl aufgrund einer schwächeren Konjunktur hat wieder die Oberhand.
Wirtschaft und Konjunktur
USA: Non Farm Payrolls (Oktober)
letzte: 297’000; erwartet: 180’000; aktuell: 150’000
USA: Arbeitslosenrate (Oktober)
letzte: 3.8%; erwartet: 3.8%; aktuell: 3.9%
Die Zahl der neuen Stellen ist in den USA im Oktober unter den Erwartungen ausgefallen. Die Zahlen von Monat zu Monat sind starken Schwankungen und statistischen Ungenauigkeiten unterworfen. Der Trend zeigt aber schon seit längerem nach unten. Die Arbeitslosenrate ist mit 3.9% immer noch auf einem sehr tiefen Niveau und die Zahl der offenen Stellen sehr hoch. Dass sich der heisslaufende Arbeitsmarkt etwas abkühlt, ist eines der Ziele der Zinserhöhungen der Fed, damit der Lohndruck abnimmt.
Thomas Stucki

8021 Zürich
