
13. November 2023, Tägliche Marktsicht
Die Inflation ist aus den Schlagzeilen verschwunden
An den Finanzmärkten blitzt das Thema Inflation ab und zu auf, um dann wieder von anderen Themen in den Hintergrund gedrängt zu werden.
Im Fokus
Wann haben Sie das letzte Mal von der Inflation gehört? Vor einem Jahr hätten die meisten diese Frage mit «heute Morgen» oder «gestern» beantwortet. Heute müssen sie zuerst überlegen, ob sie sich in den letzten Wochen zu diesem Thema Gedanken gemacht haben. Man hat sich an die Geldentwertung gewöhnt und nimmt die neuen Inflationsraten mit einem Schulterzucken zur Kenntnis. Auch an den Finanzmärkten ist die Inflation kein grosses Thema mehr. Es blitzt ab und zu auf, um dann wieder von anderen Themen in den Hintergrund gedrängt zu werden. Man spricht lieber über bevorstehende Zinssenkungen, obschon die Inflationsentwicklung für die Geldpolitik der Zentralbanken eines der wichtigsten Entscheidungskriterien ist.
In der Schweiz ist die Inflationsrate auf 1.7% gesunken. Damit können die meisten leben. Sie wird bis im Januar wieder auf 2% steigen, aber was soll's? In Deutschland beträgt die Inflation immer noch 3.8%. Vor einem Jahr war sie bei fast 9%, was sind da schon 4%? In den USA ist die Inflationsrate wieder von 3.0% auf 3.7% gestiegen. Kein Problem, die Kernrate der Inflation sinkt ja. Diese Sorglosigkeit ist gefährlich. Die Zentralbanken tun gut daran, den Kampf gegen die Inflation weiterhin als vorrangiges Ziel bei der Gestaltung ihrer Geldpolitik zu betrachten.
Die Inflation ist ein internationales Phänomen. Ihre Charakteristik ist in den meisten Ländern ähnlich. Sie stieg im letzten Jahr überall steil an und ist nun überall auf dem Rückzug. Die Erkenntnisse aus den USA lassen sich daher in ihren Grundzügen auch auf Europa und die Schweiz übertragen. Wer genauer auf die Inflation schauen will, dem sei ein Blick nach Atlanta empfohlen. Der dortige Ableger der Fed bietet ein umfassendes statistisches Datenmaterial zur Preisentwicklung an. Besonders interessant ist die Aufteilung der Preise in die «Sticky Inflation» und «Flexible Inflation». Die «Flexible Inflation» umfasst die Güter, deren Preise häufig angepasst werden. Diese Preise reagieren vor allem auf das aktuelle konjunkturelle Umfeld. Die «Sticky Inflation» ist die Veränderung der Preise von Produkten und Dienstleistungen, deren Preise nur selten angepasst werden. Die Erwartung der zukünftigen Inflation ist daher ein wichtiger Faktor für die Festlegung des neuen Preises. Die «Sticky Inflation» ist mit 5.4% auf annualisierter Basis immer noch hoch und hält sich hartnäckig in diesem Bereich. Die «Flexible Inflation» schwankt naturgemäss sehr stark. Sie ist zuletzt wieder angestiegen, was vor allem den Benzinpreisen geschuldet ist. In den letzten Monaten bewegte sie sich jedoch um Bereich um 0%, während im letzten Jahr Werte zwischen 20% und 30% die Regel waren.
Die Inflation ist noch nicht besiegt. Die Akzeptanz von Preiserhöhungen und die Inflationserwartungen sind noch zu hoch. Diese zu senken, ist der schwierigste Teil auf dem Weg zurück zur Preisstabilität. Eine rasche Wende zu einer expansiven Geldpolitik ist daher nicht angebracht. Das heisst nicht, dass man die Leitzinsen nach dem schnellen und starken Anstieg nicht senken darf. Die Zentralbanken müssen auch die Konjunkturentwicklung im Auge behalten. In den USA ist das Zinsniveau mit über 5% hoch und für die Konjunktur auf Dauer eine Gefahr. Dass die Fed im nächsten Jahr die Zinsen langsam in einen konjunkturneutraleren Bereich senken wird, macht Sinn. In der Schweiz sind die Zinsen auf dem heutigen Niveau dagegen keine Konjunkturbremse.
Video-Podcast der SGKB
Der Schweizer Aktienmarkt wankt. Von Mai bis Anfang November 2023 hat der SMI bis zu 10 Prozent verloren. Mitgerissen wurden auch defensive Schwergewichte wie Nestlé und Roche. Angela Truniger, Aktienanalystin, schätzt die Chancen für einen Umschwung ein und beurteilt im Gespräch mit Jan Gregor die Perspektive des Schweizer Aktienmarktes.
Aktienmärkte
US-Aktienmärkte
Dow Jones: +1.15%, S&P500: +1.56%, Nasdaq: +2.05%
Europäische Aktienmärkte
EuroStoxx50: -0.75%, DAX: -0.77%, SMI: -0.84%
Asiatische Märkte
Nikkei 225: -0.10%, HangSeng: +0.21%, S&P/ASX 200: -0.40%
Die Aktienmärkte müssen sich nach den starken Kursbewegungen der letzten Wochen sammeln und neu orientieren. Spricht das Umfeld für oder gegen Investitionen in Aktien? Die Antwort auf diese Frage ist nicht eindeutig, weshalb rasche Stimmungsumschwünge an den Börsen aktuell häufig vorkommen. Der S&P 500 legte letzte Woche 1.31% zu. Die europäischen Aktien stiegen 0.54%, während der Swiss Performance Index die Woche mit einem Minus von 0.25% abschloss.
Die Optimisten kommen langsam an die Aktienmärkte zurück. Dabei hat sich an den Rahmenbedingungen seit letzter Woche nur wenig verändert. Die Problemfelder mit den hohen Zinsen, einer hartnäckigen Inflation und einer drohenden Rezession werden ergänzt durch die anhaltenden Kämpfe in Israel. Von Bedeutung für die Weltwirtschaft ist der Nahe und Mittlere Osten über den Export von Erdöl und Erdgas. Deutlich höhere Energiepreise würden die Bemühungen der Notenbanken, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, erschweren und die sich schon abschwächende Konjunktur zusätzlich belasten. Der Ölpreis befindet sich aber weit unter den Höchstständen des letzten Jahres. Solange Länder wie der Iran oder Saudi-Arabien nicht direkt in den Konflikt einbezogen sind, wird sich daran nichts ändern. Die direkten negativen Auswirkungen des Nahost-Konflikts beurteilen wir als gering. Die Unsicherheit wird jedoch bleiben. Zwar sind zusätzliche Zinserhöhungen der Zentralbanken nicht mehr zu erwarten, rasche Zinssenkungen aber eben auch nicht. Das wird sich ändern, weil die Zinsen in den USA für die Wirtschaft auf dem heutigen Niveau ein Bremsklotz sind. Die Fed wird die ihren Leitzins ab dem nächsten Sommer daher wieder senken. Die Diskussion um den Zeitpunkt der ersten Zinssenkung wird schon früher einsetzen, aber wohl erst nach der Jahreswende. Deshalb darf das Kursrally der letzten Woche nicht überbewertet werden. Es kann an den Aktienmärkten in den kommenden Wochen ungemütlich bleiben und wir rechnen weiter mit erhöhten Kursausschlägen.
Kapitalmärkte
Renditen 10 J: USA: 4.656; DE: 2.717%; CH: 1.125%
Die Kapitalmärkte haben sich etwas beruhigt. Die Schwankungen bei den Renditen von Tag zu Tag sind nicht mehr so hoch wie zuletzt. Das ist gut so. Die Erwartungen an rasche Zinssenkungen der Zentralbanken sind aber noch zu gross, insbesondere in der Schweiz.
Währungen
US-Dollar in Franken: 0.9026
Euro in US-Dollar: 1.0685
Euro in Franken: 0.9643
Die Schwankungen bei den Devisenkursen sind gering. Der US-Dollar hat sich von seinem Schwächeanfall wieder etwas erholt. Am mittelfristigen Trend, dass der Franken stärker wird, hat sich aber nicht viel geändert.
Rohstoffmärkte
Ölpreis WTI: USD 76.49 pro Fass
Goldpreis: USD 1'938.66 pro Unze
Auch an den Rohstoffmärkten kehrt wieder der Alltag ein. Der Goldpreis hat einen Teil des Auftriebs nach dem Ausbruch der Kämpfe im Nahen Osten wieder eingebüsst. Der Ölpreis ist wieder auf den Wert vom Sommer gefallen.
Wirtschaft und Konjunktur
USA: U. Michigan Konsumentenvertrauen (November)
letztes: 63.8; erwartet: 63.7; aktuell: 60.4
Die Angst vor der Inflation geht bei den amerikanischen Konsumenten wieder um. Gemäss der Umfrage der University of Michigan sind die Inflationserwartungen gestiegen. Ob sich das auch auf das effektive Konsumverhalten im Weihnachtsgeschäft auswirken wird, ist eine offene Frage. Die US-Wirtschaft zeigt nach dem starken Wachstum im dritten Quartal aber Anzeichen, dass es schwächer weitergeht.
Thomas Stucki

8021 Zürich
